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Position des BDTA zur paraprohibitiven Besteuerung von Tabakwaren: Zwischen fiskalischer Verantwortung, Marktstabilität und realitätsbezogener Gesundheitspolitik
Die Diskussion um eine paraprohibitive Besteuerung von Tabakprodukten gewinnt in der gesundheitspolitischen Arena in Brüssel zunehmend an Schärfe. Gemeint ist eine Steuerpolitik, die den Konsum bestimmter Produkte – namentlich von Tabakwaren und neuartige Nikotinerzeugnisse – nicht nur lenken, sondern faktisch unterbinden will, indem sie die Preise so stark erhöht, dass der Zugang zum Produkt ökonomisch unattraktiv oder praktisch unmöglich wird. Diese neue Gangart hat insbesondere durch die sogenannte „BECA-Resolution“[1] von 2022 (Bericht des Sonderausschusses zur Krebsbekämpfung) des Europäischen Parlaments Auftrieb erhalten. Darin wird das Ziel einer „Generation rauchfrei bis 2040“ formuliert – verbunden mit der politischen Empfehlung, sämtliche Tabak- und Nikotinprodukte möglichst unattraktiv zu machen. Die dort implizierten Maßnahmen zielen nicht mehr auf bloße Verhaltenslenkung, sondern auf eine strukturelle Marktverdrängung. Der Begriff „paraprohibitiv“ gewinnt in diesem Zusammenhang neue Brisanz: Die Schwelle zur faktischen Prohibition wird politisch bewusst in Kauf genommen.
Der Bundesverband Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller e.V. (BDTA) sieht diese Entwicklung mit großer Sorge. Eine solche Steuerpolitik verfehlt nicht nur grundlegende wirtschafts-, steuer- und gesundheitspolitische Prinzipien, sondern bringt auch weitreichende negative Folgewirkungen mit sich, die bisher nur unzureichend in der politischen Debatte berücksichtigt werden.
Darüber hinaus widerspricht der Vorstoß dem europäischen Primärrecht: Gemäß Art. 3 EU-Vertrag ist Auftrag der Union, den Binnenmarkt und wirtschaftliche Betätigung zu fördern – nicht Produkte in ‚wünschenswert’ und ‚nicht wünschenswert’ einzuteilen und selektiv zu verdrängen. Eine Politik, die Preise gezielt in Richtung Unerschwinglichkeit treibt, gefährdet daher die eigene Vertragslogik der EU.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Tabakwaren in Deutschland ein hochregulierter und steuerlich bereits stark belasteter Produktbereich sind. Die Tabaksteuer wird seit Jahrzehnten als Verbrauchssteuer mit doppelter Zielsetzung erhoben: Sie dient einerseits der Einnahmeerzielung für den Bundeshaushalt – jährlich rund 15 Milliarden Euro –, andererseits der gesundheitsbezogenen Verhaltenslenkung. Diese Doppelfunktion ist durch das geltende Steuerrecht legitimiert, findet jedoch in einer paraprohibitiven Zielsetzung eine bedenkliche Verschiebung. Denn sobald Steuerpolitik nicht mehr auf Verhaltenslenkung, sondern auf faktische Marktverdrängung zielt, verlässt sie den Bereich der fiskalisch und gesundheitsökonomisch begründbaren Maßnahme und nähert sich einer verkappten Prohibitionsstrategie – mit allen daraus resultierenden Nebenwirkungen.
Eines der gravierendsten Probleme solcher Übersteuerung liegt in der Förderung des illegalen Handels. Nationale wie internationale Studien – etwa von der OECD, der WHO sowie deutschen Zollbehörden – belegen, dass übermäßige Preissteigerungen bei stark nachgefragten Konsumgütern in hohem Maße den Schwarzmarkt befördern. So ist beispielsweise in Frankreich nach mehreren Steuererhöhungen ein erheblicher Anstieg des Konsums von Tabakwaren zu beobachten, die entweder aus dem Ausland legal eingeführt, aber nicht in Frankreich versteuert wurden, oder gänzlich illegal gehandelt bzw. gefälscht sind; Schätzungen gehen von über 18,7 Milliarden illegaler Zigaretten im Umlauf aus.[2] In Deutschland liegt der Anteil nicht in Deutschland besteuerter Zigaretten bereits bei rund 20 %, mit regionalen Spitzenwerten von bis zu 44 %[3] – insbesondere in Grenzregionen. Eine weitere Steigerung der Steuerlast würde diese Entwicklung exponentiell beschleunigen. Der Staat verlöre nicht nur dringend benötigte Steuereinnahmen, sondern auch die Kontrolle über die Produktqualität, den Jugendschutz und die Kanäle des Vertriebs.
Ein Blick in die Geschichte mahnt zur Vorsicht: Als die USA 1920 – 1933 den Alkoholkonsum vollständig verboten hat, entstanden blühende Schwarzmarktnetze und ein lukratives Förderprogramm für organisierte Kriminalität. Würde eine paraprohibitive Steuerlogik in eine echte Prohibition umschlagen, droht eine ähnlich dynamische Parallelökonomie – diesmal mit Tabakwaren und Nikotinerzeugnissen.
Hinzu kommt, dass eine paraprohibitive Steuerpolitik massiv in bestehende legale Marktstrukturen eingreift. Die mittelständisch geprägte Branche des Tabakwaren-Großhandels und des Automatenvertriebs ist ein zentraler Pfeiler der kontrollierten Warenzirkulation in Deutschland. Ihre Unternehmen gewährleisten bundesweit – auch in ländlichen und strukturschwachen Räumen – eine legale, steuerlich erfasste und jugendschutzkonforme Verfügbarkeit von Tabakwaren. Diese Infrastruktur ist nicht beliebig ersetzbar: Ihre Schwächung würde zu Marktverwerfungen führen, zu Arbeitsplatzverlusten, zu Ausfällen kommunaler Einnahmen (z. B. über Gewerbesteuer), und zu einem Rückzug kontrollierter Angebotsformen zugunsten unkontrollierter, oft illegaler Kanäle.
Darüber hinaus ist der steuerpolitische Zugriff auf legale Produkte mit einer normativen Unschärfe behaftet, die nicht übergangen werden darf. In einer pluralistischen Gesellschaft mit eigenverantwortlichen Bürgerinnen und Bürgern ist es Aufgabe des Staates, durch Aufklärung und Prävention Verhaltensalternativen zu eröffnen – nicht aber, durch fiskalische Übersteuerung bestimmte Konsummuster zu sanktionieren oder faktisch zu unterbinden. Eine Steuerpolitik, die in ihrer Ausgestaltung faktisch auf Marktverdrängung zielt, droht den Wesensgehalt Europäischer Grundrechte zu verletzen. Das europäische Recht sieht hierfür eine absolute Grenze vor: Die wirtschaftliche Tätigkeit darf nicht auf eine Weise eingeschränkt werden, dass ihr funktionaler Gehalt – also die reale Ausübbarkeit des Berufs – entzogen wird. Eine Steuerpolitik, die die Rentabilität ganzer Wertschöpfungsketten im Tabakgroßhandel und -vertrieb systematisch aushöhlt, läuft auf ein faktisches Berufsverbot hinaus.
Auch aus fiskalischer Perspektive ist eine paraprohibitive Steuerpolitik hochriskant. Während klassische Verbrauchssteuern wie die Tabaksteuer bislang eine stabile, gut kalkulierbare Einnahmequelle darstellen, würde eine Übersteuerung diese Funktion untergraben. Der Rückgang legaler Absatzmengen, die Zunahme illegaler Produkte und der Entzug staatlicher Kontrollmechanismen würden die Steuerbasis destabilisieren und mittel- bis langfristig zu Einnahmeverlusten führen. Eine solche Entwicklung widerspricht dem Prinzip der Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik und könnte kompensatorische Steuererhöhungen in anderen Bereichen – etwa bei der Mehrwertsteuer – erforderlich machen.
Zudem ist die pauschale Gleichbehandlung aller Tabak- und Nikotinprodukte im Rahmen paraprohibitiver Ansätze wissenschaftlich und regulatorisch nicht haltbar. Unterschiedliche Produkte weisen ein unterschiedlich hohes Risikoprofil auf – dies gilt insbesondere im Vergleich zwischen klassischen Zigaretten, Tabakerhitzern, E-Zigaretten und oralen Nikotinprodukten. Eine evidenzbasierte, risikoadaptierte Steuerpolitik müsste diesen Differenzierungen Rechnung tragen. Internationale Vorbilder – wie etwa Schweden – zeigen, dass differenzierte Besteuerungssysteme nicht nur gesundheitspolitisch sinnvoll, sondern auch regulatorisch wirksam sein können. Die pauschale Erhöhung aller Steuerlasten ohne Rücksicht auf Produkttyp und Konsummuster hingegen erscheint als politisch bequem, aber wissenschaftlich unhaltbar.
Nicht zuletzt verweist der BDTA auf die Notwendigkeit, den kontrollierten legalen Markt nicht zu schwächen, sondern zu stärken – auch im Interesse wirksamer Jugendprävention. Denn nur dort, wo der Zugang zu Tabakwaren durch geschulte Verkäufer, Altersverifikationssysteme und gesetzliche Kontrollen erfolgt, können gesellschaftlich legitimierte Schutzziele wirksam durchgesetzt werden. Eine fiskalisch induzierte Marktverdrängung zerstört diese Strukturen – und öffnet informellen, nicht kontrollierten Vertriebskanälen Tür und Tor.
Fazit: Der BDTA spricht sich mit Nachdruck gegen die Einführung einer paraprohibitiven Besteuerung von Tabakwaren und Nikotinprodukten aus. Eine solche Steuerpolitik unterminiert die Legitimität fiskalischer Maßnahmen, destabilisiert legale Marktstrukturen, fördert kriminelle Parallelmärkte und widerspricht den Prinzipien evidenzbasierter, verhältnismäßiger Regulierung. Der Verband plädiert stattdessen für eine differenzierte, risikobasierte Steuerpolitik, die den Schutz der öffentlichen Gesundheit mit ökonomischer Vernunft, rechtlicher Stabilität und fiskalischer Tragfähigkeit verbindet.
[1] Europäisches Parlament: Resolution „Strengthening Europe in the fight against cancer – towards a comprehensive and coordinated strategy“ (A9-0001/2022), angenommen am 16. Februar 2022
[2] Siehe https://www.pmi.com/media-center/press-releases/press-details/?newsId=28981
[3] Siehe: https://www.zigarettenverband.de/wp-content/uploads/D_Karte-1Q-2025.pdf